Jazz – was ist das?

Jazz – was ist das eigentlich? Den Begriff „Jazz“ hast du bestimmt schon oft gehört. Aber was Jazz wirklich ist, wissen nur Wenige. In diesem Gast-Beitrag erklärt dir Klaus Rohwer, was Jazz ist, wie du ihn erkennst und welche Stile es gibt. Und du erfährst, welche Rolle die Mundharmonika im Jazz spielt.

Ein Gastbeitrag von Klaus Rohwer (www.klausrohwer.de)

Toots Thielemans spielt Mundharmonika

Ja, auch im Jazz wurde und wird gelegentlich die Mundharmonika als Instrument, und zwar als Soloinstrument, eingesetzt. Aber zunächst mal müssen wir uns damit beschäftigen, was das denn eigentlich ist – Jazz.

Um den Jazz zu verstehen finde ich es ganz wichtig, sich etwas mit seiner Geschichte zu beschäftigen. Darin tauchen Namen von Personen und Stilen auf, die auch heute noch im Zusammenhang mit Jazz immer wieder genannt werden und die Du deswegen kennen solltest.

Die Ursprünge und Vorformen des Jazz

Jazz ist eine Musik, die um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert im tiefen Süden der Vereinigten Staaten von Amerika entstand und von dort aus einen unvergleichlichen Siegeszug durch die ganze Welt angetreten hat. Als Geburtsort des Jazz gilt New Orleans an der Mündung des Mississippi.

Der Jazz – der damals noch gar nicht diesen Namen trug – entstand, als Afroamerikaner dort Musik machten. Die meisten waren ehemalige Sklaven, ein Teil auch Kreolen, also Nachkommen von weißen (vorzugsweise französischen) Großgrundbesitzern mit ihren schwarzen Sklavinnen. Diesen war von ihren Vätern oft eine gute Ausbildung ermöglicht worden, so dass viele auch ein Instrument spielen und Noten lesen konnten.

Andere brachten sich das Spielen selbst bei. Die meisten Musiker konnten keine Noten lesen und spielten einfach nach dem Gehör nach, was sie alles so hörten: Blues, Worksongs und Field Hollers (die die schwarzen Sklaven, später Landarbeiter, auf den Feldern gesungen hatten), Gospel, Spirituals, Ragtime, Märsche, Walzer, Opernmelodien, … also auch die Musik der Weißen. Und sie verzierten die Melodien. Sie verzierten die Melodien, bis sie kaum noch zu erkennen waren. Sie nannten das damals embellishment (also „Verschönerung“ oder „Verzierung“), heute sagt man Improvisation dazu.

Es war kein Einzelner, der diesen Musikstil erfunden hat, sondern das, was dann später den Namen Jazz bekam, lag wohl einfach in der Luft. Es heißt, dass damals alle Brass Bands (Blasmusikkapellen) in der ganzen Gegend so gespielt hätten.

Die Herkunft des Wortes „Jazz“ – das übrigens zunächst „Jass“ geschrieben wurde – ist ungewiss, es gibt viele Spekulationen darüber. Ganz sicher stammt es aus dem Slang, wahrscheinlich aus dem Rotlichtmilieu, das seinerzeit in New Orleans recht bedeutend war. Manche sagen, es wurde zuerst von der Presse verwendet – aber im Zusammenhang mit Sport (Baseball), bevor es auf die Musik übertragen wurde. Was es genau bedeutet, ist nicht abschließend geklärt und wird es wohl auch nie werden. Sehr wahrscheinlich aber so viel wie Energie, Durchsetzungsfähigkeit oder auch Potenz.

Wie erkennt man Jazz? Was den Jazz auszeichnet.

Woran erkennt man nun, ob es sich bei Musik um Jazz handelt? Es gibt ein paar Merkmale, die einen Hinweis liefern können. Diese werden im Folgenden kurz beschrieben. Musik besteht aus Melodie, Rhythmus und Harmonie.

Und in allen drei Bereichen gibt es im Jazz Besonderheiten:

  • Bei der Melodie sind es die Blue Notes und die Improvisation,

  • beim Rhythmus der swing,

  • und bei der Harmonie die Jazz-Akkorde.

Blue Notes – die Spuren des Blues im Jazz

Die blue notes kennst Du wahrscheinlich aus dem Blues. Das sind die Töne, die nicht in das europäische Tonsystem passen, sozusagen zwischen den Noten liegen, und bei denen es einem ungeübten Zuhörer kalt den Rücken hinunter läuft. Diese gibt es auch im Jazz, aber sie müssen nicht zwingend in einer Jazz-Melodie vorkommen.

Improvisation im Jazz – der innerste Kern

Improvisation ist der eigentliche Kern der Musik, die man heute Jazz nennt. Improvisieren bedeutet, über eine vorgegebene Begleitung (meist mit mindestens einem Bass- und einem Harmonieinstrument) spontan eine neue passende Melodie zu erfinden. Und zwar am besten bei jeder Aufführung des Stücks eine neue! Das ist eine große kreative Leistung des jeweiligen Musikers, die man gar nicht hoch genug einschätzen kann.

Das läuft in der Regel so ab: zunächst wird der komponierte Teil des Stücks, das sogenannte Thema gespielt, dann folgen eine Reihe von Soli, bei denen der Solist/die Solistin oder die Solisten improvisieren, und dann folgt am Schluss nochmal das Thema. Improvisiert wird über die Harmonien des Themas.

Das Swing-Feeling – die Würze im Jazz

Ein weiteres Merkmal des – zumindest des frühen – Jazz ist der swing. Wenn das Wort so wie hier klein geschrieben wird, ist damit eine rhythmische Besonderheit gemeint, die es vor dem Jazz noch nicht gab. In der groß geschriebenen Variante (Swing) ist damit ein ganzer Musikstil innerhalb des Jazz gemeint, bei dem der swing besonders ausgeprägt ist. Der swing ist eine ganz charakteristische Abweichung des Rhythmus vom geraden „1 und 2 und 3 und 4“ der europäischen Musik. Und zwar wird das „und“ dabei immer ein bisschen nach hinten verschoben, also verzögert. Am besten, man hört sich das mal an!

Ohne swing:

Mit swing:

Das Stück heißt übrigens „Honeysuckle Rose“ und ist von Thomas ‚Fats‘ Waller. Diese Versionen hier wurden allerdings synthetisch erzeugt.

Swing gibt es nicht nur im Jazz, sondern insbesondere auch im Blues und daneben z.T. auch in der Country-Musik – und in der heutigen Popmusik (die alle den swing aus dem Jazz übernommen haben).

Jazz-Akkorde sind anders

In der Volksmusik und häufig auch in Rock und Pop kommen nur einfache Akkorde aus drei Tönen zum Einsatz (Prim, Terz, Quinte). Höchstens kommt mal ein Dominant-Septakkord vor, der aus vier Tönen besteht (der vierte ist dann die Septime). Im Blues werden von vornherein Dominant-Septakkorde bevorzugt, weil sie gut mit der Blues-Tonleiter zusammenpassen.

Im Jazz verwendet man fast ausschließlich Akkorde aus vier oder noch mehr Tönen, aber nicht nur Dominant-Septakkorde, sondern auch solche mit großer Sexte oder großer Septime (was in den Ohren vieler klassisch gebildeter Musiker ziemlich dissonant klingt). Es werden auch gerne viele Moll-Akkorde eingeflochten, selbst in Stücke, die eigentlich in Dur stehen. Auch bei jenen ist dann die Sexte oft eine große, was man ja auch aus dem Moll-Blues kennt.

Quintenzirkel mit C-Dur Stufen

Ein weiteres wichtiges Merkmal des Jazz ist die Verwendung bestimmter Akkordfolgen, die man als II-V-I-Verbindungen bezeichnet, also Harmonien, die auf der zweiten, der fünften und der ersten Stufe (dem Grundton) der Tonleiter errichtet wurden. Aber nicht nur das, jede Stufe kann selbst wieder als Grundton aufgefasst werden, so dass häufig Ketten von VII-III-VI-II-V-I-Akkordfolgen oder Teilen daraus vorkommen. Oder anders ausgedrückt: die Grundtöne der Harmonien bewegen sich gerne schrittweise gegen den Uhrzeigersinn im Quintenzirkel.

Jazz Standards – wichtig zu wissen

Standards sind Stücke, die alle Jazz-Musiker kennen und die gerne auf Jam Sessions, also formlosen Treffen von Musikern für gemeinsames Spielen, verwendet werden. Weil jeder die Stücke kennt, sind kaum Absprachen notwendig. Obwohl die Stücke durch Improvisation immer wieder neu interpretiert werden, haben sie natürlich auch etwas Abgegriffenes (auch wenn immer noch neue Standards hinzukommen!). Meine persönliche Meinung ist, dass ein Musiker durch das Spielen von Standards, für die es ja viel Vergleichsmaterial gibt, gut zeigen kann, was er alles drauf hat.

Leider hat es sich eingebürgert, von „Coverversionen“ zu sprechen, auch wenn von Jazz (oder Blues) die Rede ist, was meiner Meinung nach ein völlig falsches Bild ergibt: Wenn in Rock oder Pop ein Song gecovert wird, wird er meist exakt genau so nachgespielt wie das Original. Im Jazz und Blues ist das in der Regel ganz anders: durch die Improvisation entsteht jedes Mal ein ganz neues Stück. Mitunter hat es sogar einen anderen Rhythmus. Bei einer Band, die ausschließlich Jazz-Standards spielt – und davon gibt es viele! – von einer „Cover-Band“ zu sprechen, ist eine Beleidigung, sofern die Musiker improvisieren.

Jazz, der Bruder des Blues

Nochmal zurück zum Ursprung des Jazz. Man kann es vielleicht so sagen: der Jazz ist der Bruder des Blues. Aber so nah sie auch verwandt sind, sind Blues und Jazz doch zwei ganz verschiedene Persönlichkeiten.

Der Blues ist der rauhere, ungehobeltere, unverblümtere, heimatverbundenere Typ. Und das ist keineswegs abwertend gemeint - so sehen sich die Blueser sogar selbst (mit Stolz). Der Jazz dagegen ist der elegantere, raffiniertere, weltläufigere Typ.

Wie Brüder auch, haben sich Jazz und Blues in ihrer jeweiligen Entwicklung ganz stark gegenseitig beeinflusst. So gibt es im Jazz ganz viel Blues, nur wird er dort anders gespielt als im eigentlichen Blues. Man spricht deswegen auch von Jazz-Blues und von Blues-Blues.

Jazz-Blues:

Blues-Blues:

Im Jazz treffen sich schwarz und weiß

Schon kurz nach seiner Entstehung versuchten weiße Amerikaner, die auch von dieser neuen Musikrichtung fasziniert waren, den Jazz als eine weiße Erfindung zu verkaufen, was ihnen zwar so nicht gelungen ist, aber sie haben dann kräftig bei der weiteren Entwicklung des Jazz mitgemischt.

Der Jazz ist zusammen mit der Schallplatte groß geworden. Weil auf damalige Schallplatten nur drei Minuten Musik drauf passten, sind die meisten Musikstücke im Jazz traditionell eher kurz. Später hat dann das neu erfundene Radio die Verbreitung des Jazz sehr gefördert.

Der Jazz, so wie er heute mit seinen inzwischen zahlreichen Spielarten existiert, ist also durch das Zusammen- oder auch Gegeneinanderwirken von afro- und euroamerikanischen Musikern entstanden.

Jazz-Stile – ein Überblick

Innerhalb des Jazz haben sich nach und nach so viele verschiedene Stile entwickelt, von denen Viele gar nicht wissen, dass sie zum Jazz gehören. Und nahezu alle Stile werden heute noch gespielt!

Hier mal eine Auflistung der wichtigsten Stile, auf die ich gleich noch etwas näher eingehe:

Traditioneller Jazz

Prämoderner Jazz

  • New-Orleans-Jazz
  • Dixieland
  • Chicago-Jazz

Swing

  • Swing
  • Gypsy-Swing

Moderner Jazz

  • Bebop
  • Latin Jazz
  • Cool Jazz (manchmal fälschlich auch als West Coast Jazz bezeichnet)
  • Hard Bop (manchmal fälschlich auch als East Coast Jazz bezeichnet)
  • Free Jazz
  • World Music
  • Rock Jazz

Jazz-Stammbaum vereinfacht

New-Orleans-Jazz und Dixieland

Der frühe Jazz wird New-Orleans-Jazz genannt. Er wurde von Afroamerikanern und Kreolen gespielt, fand aber sofort weiße Nachahmer, die ihre Musik dann als Dixieland bezeichneten.

Einer der bedeutendsten Musiker der New-Orleans-Zeit war Jelly Roll Morton, der neben Klavier auch Mundharmonika spielte. Allerdings ist mir von ihm keine einzige Aufnahme bekannt, auf der er Mundharmonika spielt.

Die Mundharmonika war auch für den damaligen Jazz einfach zu leise. Sie hätte sich gegen Trompete, Posaune und Schlagzeug durchsetzen müssen, was ihr mangels Verstärkungsmöglichkeiten zunächst nicht gelang. Da hatte sie es im Blues, der oft nur von einem (ebenfalls unverstärkten) Gitarristen gespielt wurde, deutlich einfacher.

Andere wichtige Musiker der New-Orleans-Zeit waren der Trompeter King Oliver und der Posaunist Kid Ory. Bei ihnen spielte ein weiterer Musiker mit, dessen Einfluss gar nicht hoch genug eingeschätzt werden kann und der später über Jahrzehnte den Jazz prägen sollte: der Trompeter und Sänger „Satchmo“ Louis Armstrong.

Er war es, der intuitiv richtig erfasst hat, dass das, was er improvisierte, zu der Begleitung passen sollte, damit es gut klingt.

Als das Vergnügungsviertel Storyville in New-Orleans im Zuge des Eintritts der USA in den ersten Weltkrieg geschlossen wurde, fuhren viele Musiker von dort mit den Mississippi-Dampfern nach Norden und landeten in Chicago. Hier lebte der New-Orleans-Jazz weiter. Daneben entwickelte sich aber eine spezifisch weiße Spielart, die dann Chicago-Jazz getauft wurde. Der wichtigste Vertreter hier war der Kornettist Bix Beiderbecke.

Swing – der Big-Band Jazz

Der nächste große Entwicklungssprung im Jazz erfolgte in den 1930er Jahren mit dem Aufkommen von Big Bands. Hier sind insbesondere die Orchester von

Count Basie, Duke Ellington und Benny Goodman zu nennen, aber es gab noch viele andere.

Wichtige Zentren des Jazz waren jetzt Kansas City und vor allem New York. Während Count Basie und Duke Ellington Farbige waren, bekam der weiße Klarinettist Benny Goodman den Titel „King of Swing“.

Immerhin war Benny Goodman einer der ersten Weißen, in dessen Band auch schwarze Musiker mitspielen durften. Es geht aber noch grotesker: der ebenfalls weiße Paul Whiteman erhielt den Titel „King of Jazz“, obwohl er gar keinen Jazz spielte, sondern nur Big-Band-Musik ohne Improvisation.

Jedenfalls war damit der neue Stil Swing (mit großem S) geboren, bei dem die Weißen mal wieder kräftig mitmischten und ihn kommerzialisierten – und gleichzeitig vom eigentlichen Jazz entfernten. Denn im (weißen) Swing wird häufig nicht mehr live improvisiert, sondern es werden festgelegte Arrangements von Noten abgespielt.

Im Swing kam es dann auch zum ersten richtigen Zusammentreffen von Mundharmonika und Jazz. Denn inzwischen gab es nicht nur die chromatische Mundharmonika, auch die Verstärkertechnik war jetzt so weit gediehen, dass man mit einem Mikrofon vor der Mundharmonika mit einem Orchester zusammen spielen konnte. Und genau das machte Larry Adler, u.a. mit der Bigband von Duke Ellington.

Die Bigbands waren es, die den Jazz in den 1930er und 40er Jahren zur damaligen Popmusik machten. Der Vollständigkeit halber muss aber noch erwähnt werden, dass es im Swing keineswegs nur Bigbands gab, sondern auch Combos, die nur aus drei, vier oder fünf Musikern bestanden. Manche davon waren „Teilmengen“ von Bigbands („The band in the band“).

Gypsy Swing

Gleichzeitig entstand in Europa eine eigene Form des Jazz: der in Paris lebende belgische Gitarrist Django Reinhard begründete eine eigene Art des Swing, die nur auf Saiteninstrumenten beruhte. Wegen seiner Zugehörigkeit zur Ethnie der Sinti wird diese Richtung Gypsy-Swing genannt und hatte durchaus auch in den USA Erfolg. Mit einem von Djangos Mitstreitern, dem Geiger Stephane Grappelli, hat auch Toots Thielemans später zusammen gespielt.

Die modernen Jazz-Stilrichtungen

Bebob – der Durchbruch

Der eigentliche Durchbruch für die Mundharmonika – wenn man es denn so nennen will – kam jedoch erst mit dem nächsten Stil im Jazz. Einigen schwarzen Musikern war der Swing zu langweilig und zu kommerziell geworden, und so suchten sie nach neuen Wegen. Die Wegbereiter waren der Saxophonist Charlie Parker und der Trompeter Dizzy Gillespie, die einen neuen, sehr schnellen und komplizierten Stil, den Bebop entwickelten und damit Anfang der 1940er Jahre den Modern Jazz begründeten.

Der Bebop wird heute nur noch selten gespielt, weil er eine große Virtuosität erfordert, harmonisch ungewohnt geblieben ist und beim großen Publikum kaum Anklang findet.

Aber genau damit gelang es dem Belgier Toots Thielemans, die Mundharmonika als Instrument im Jazz zu etablieren. Doch er hat dann auch in vielen der nachfolgenden Jazz-Stile gespielt und wurde zum Inbegriff des Mundharmonikaspielers im Jazz. Zugute kam ihm dabei, dass er auch ein sehr guter Jazz-Gitarrist war. So konnte er zunächst hauptsächlich Gitarre spielen und immer öfter die Mundharmonika in das eine oder andere Stück einschmuggeln. Er hatte sogar einen Hit, der zum Jazz-Standard wurde: Bluesette.

Cool Jazz, Hard Bop und Latin Jazz

In der Weiterentwicklung des Modernen Jazz entstanden dann in den 1950er Jahren parallel drei neue Stile: der Cool Jazz, dessen Begründung dem Trompeter Miles Davis zugeschrieben wird, der Hard Bop, der mit den Jazz Messengers (Art Blakey am Schlagzeug, Horace Silver am Klavier) begann, und der Latin Jazz, mit dem zwar Dizzy Gillespie bereits in Form des Afro-Cuban Jazz experimentiert hatte, der aber erst mit der Bossa Nova (bedeutendster Komponist: Antonio Carlos Jobim) so richtig in Schwung kam.

Auch in diesen Stilen machte Toots Thielemans die Mundharmonika populär. Bei der Bossa Nova hatte er in Brasilien einen starken Mitstreiter: Mauricio Einhorn, ein Sohn österreichischer Einwanderer, war von Anfang an mit dabei.

Die Bossa Nova ist übrigens der erste Jazz-Stil, in dem nicht mehr der swing den Rhythmus angibt. Aber die Improvisation und die anspruchsvollen Harmonien sind geblieben, und es gibt – im Gegensatz zum Bebop – wieder schöne, eingängige Melodien, wie auch in den beiden Schwesterstilen, dem Cool Jazz und dem Hard Bop.

Free Jazz und Weltmusik

In den 1960er Jahren wurden die USA von Rassenunruhen erschüttert, und eine ganze Reihe von schwarzen Jazz-Musikern wollte den Jazz aus den Fängen der von Weißen beherrschten Musikindustrie befreien: der Free Jazz wurde ausgerufen (Ornette Coleman, Saxophon). Obwohl es auch hier vereinzelt zum Einsatz der Mundharmonika kam, hat sie sich dabei nicht durchgesetzt.

Mit der Flower-Power-Bewegung in den 1970er Jahren wandten sich viele Jazz-Musiker verstärkt den Musikformen anderer Kulturen der Welt zu, die Weltmusik (world music) war geboren. Hier ist vor allem der Saxophonist John Coltrane zu nennen, der aber auch viele andere Stile mit beeinflusst hat.

Howard Levy – die Revolution der Mundharmonika

Als sich der Jazz in den 1970er Jahren für die Musik außerhalb des europäischen Kulturkreises öffnete, trat, was die Mundharmonika betrifft, ein neuer Protagonist auf den Plan: Howard Levy.

Howard Levy hat die Möglichkeit entdeckt (manche meinen auch: wiederentdeckt), auf einer diatonischen Mundharmonika – der Bluesharp – voll chromatisch zu spielen. „Diatonische Mundharmonika“ bedeutet, dass es sich um ein Instrument handelt, das nur für eine Tonart gebaut ist. Darauf kann man also „eigentlich“ gar nicht all die Halbtöne spielen, die man für Jazz braucht. Doch mit der Technik des Bendings und Overbendings kann man auch diese Töne erreichen (was aber Einiges an Übung erfordert).

Howard Levy spielte, bevor er zur Mundharmonika kam, schon Klavier und kennt sich in der gesamten Musik – ausdrücklich auch in der Klassik – hervorragend aus und spielt keineswegs nur Jazz oder gar nur Weltmusik. Aber er interpretiert nahezu keine der sonst im Jazz allgegenwärtigen „Standards“. Denn er spielt lieber neue Kompositionen („Originals“), gerne auch von ihm selbst.

Fusion und Jazz-Rock

War der Jazz in Form des Swing die Popmusik der 1930er und 40er Jahre gewesen, so war er in dieser Hinsicht inzwischen vom Rock’n’Roll überholt worden. Dieser hatte sich in den 1970er Jahren zu dem entwickelt, was man heute Rock nennt. Da wollten die Jazz-Musiker nicht nachstehen und versuchten, Jazz und Rock zu verbinden.

Heraus gekommen ist der Rock Jazz, auch Jazz-Rock genannt. Wie die Bossa Nova verzichtet der Rock Jazz auf den swing und verwendet stattdessen die geraden Rhythmen des Rock. Aber die Harmonien sind dabei nicht die einfachen, sich immer wiederholenden Akkorde des Rock, sondern mehr dem Jazz entlehnt.

Als wichtige Musiker sind hier zu nennen: wiederum der Trompeter Miles Davis, der auch schon den Cool Jazz begründet hatte, sowie die Pianisten und Keyboarder Joe Zawinul und Herbie Hancock. Die Mundharmonika wurde im Rock Jazz selten eingesetzt und hat hier keine ausgesprochenen Protagonisten.

Einige Strömungen des Rock Jazz verliefen weiter in Richtung Funk und Soul. Und gerade im Soul ist ein Mann besonders erwähnenswert: Stevie Wonder. Er ist zwar kein ausgesprochener Jazz-Mundharmonikaspieler, hat aber durch seine Kompositionen und seine Art zu spielen die Jazz-Mundharmonikaspieler (sogar Toots Thielemans) stark beeinflusst.

Die große Aufsplitterung – der Jazz der Gegenwart

In den 1980er Jahren wurde der Jazz unübersichtlich. Neben den bisherigen Stilen, die alle noch weiterhin ausgeübt werden, entstand eine ganze Reihe von neuen, die mehr oder weniger lange überlebt haben. In all diesen spielt die Mundharmonika kaum eine Rolle. Zu den langlebigeren zählten Acid Jazz (kann man auch Disco-Jazz nennen) und Smooth Jazz (kann man auch Pop-Jazz nennen). Der gute alte Swing ist inzwischen in Form des Electro-Swing wieder da. Und auch der Bebop feiert in Form des Neobop fröhliche Urständ. Sogar der Free Jazz ist jetzt, weniger radikal und verkleidet als Modern Creative Music, wieder zu hören. In letzterem Gebiet gibt es sehr vielversprechende Mundharmonikaspieler wie Gégoire Maret und Laurent Maur.

Die weibliche Seite des Jazz

Bisher wurden gar keine Frauen erwähnt. Gibt es die im Jazz gar nicht? Doch, aber die Männer haben ihnen keine Gelegenheit gegeben, irgendeinen Stil zu prägen. Die meisten bedeutenden Frauen im Jazz waren oder sind Sängerinnen und Pianistinnen. Bei den Sängerinnen sind besonders Billie Holiday und Ella Fitzgerald hervor zu heben, bei den Pianistinnen ist es Mary Lou Williams. Inzwischen ist das anders: es gibt jetzt an allen Instrumenten im Jazz auch Frauen.

Und auch an der Jazz-Mundharmonika gibt es vereinzelt Frauen: die Niederländerin Hermine Deurloo zum Beispiel, die Toots Thielemans als „seine weibliche Nachfolgerin“ bezeichnet haben soll.

Jazz und die Mundharmonika

Richtig Jazz zu spielen ist – um das mal in aller Deutlichkeit zu sagen – schwer, auch auf der Mundharmonika. Ich kann hier nur für die chromatische Mundharmonika sprechen, die ich im Jazz meistens spiele (Jazz auf der Bluesharp ist ein ganz anderes Thema). Nur in einer Hinsicht gibt einem die Kombination von Jazz und Mundharmonika etwas Erleichterung: Im Jazz gibt es viel mehr Stücke in ♭-Tonarten als in ♯ -Tonarten. Und erstere sind auf der Mundharmonika deutlich leichter zu spielen, jedenfalls auf der chromatischen mit Schieber (mit Einschränkungen, siehe unten). Das liegt vor allem daran, dass man auf einem C-Instrument das C und das F sowohl auf Blasen wie auch auf Ziehen erzeugen kann. Der Nutzen ist aber begrenzt: es kommen dennoch immer wieder Harmonien vor, die aus ♯ -Tonarten stammen, so dass man diese Tonleitern beim Improvisieren doch verwenden muss. Aber das ist immer nur vorübergehend.

Tonarten, bei denen auf der Mundharmonika viele Ziehtöne vorkommen, sind relativ lästig – man weiß dann oft nicht, wohin mit der ganzen Luft. Was ebenfalls schwer zu beherrschen ist, sind Wechsel zwischen Tönen, die gleichzeitig eine Änderung der Luftstromrichtung (Blasen-Ziehen oder umgekehrt) und eine Betätigung des Schiebers (Drücken-Loslassen) erfordern, und womöglich noch einen Sprung über mehrere Kanäle. Das macht dann das Spielen in B♭-Dur und E♭-Dur doch wieder ziemlich schwierig, während F-Dur, A♭-Dur und D♭-Dur viel leichter gehen. (Oder anders gesagt: eine chromatische Mundharmonika ist längst nicht so chromatisch wie ein Klavier.)

Howard Levy spielt MundharmonikaEs gibt viele Spieler – zu denen ich auch gehöre – die deswegen nicht allein mit einer C-Dur-Chrom auskommen möchten. Ich verwende gerne zusätzlich noch eine in B♭-Dur gestimmte, andere haben das gesamte Sortiment. Wieder anderen liegt der Wechsel zu einem anders gestimmten Instrument überhaupt nicht. Toots ist schließlich auch die meiste Zeit seines Lebens mit C-Instrumenten ausgekommen.

Stilistisch ist Toots Thielemans für die meisten Jazz-Mundharmonikaspieler bis heute der Maßstab geblieben. Eine andere große Gruppe eifert Howard Levy nach. Einige wenige haben einen ganz eigenen Stil entwickelt. Leider muss man festhalten, dass selbst professionelle Jazz-Musiker oft nichts von Toots Thielemans und Howard Levy wissen, geschweige denn von anderen Jazz-Mundharmonika-Spielern oder gar –Spielerinnen. Die wachsende Zahl von Jazz-Mundharmonikaspielern weltweit lässt hoffen, dass sich das in Zukunft ändern wird.



An dieser Stelle nochmals ein herzlicher Dank an Klaus, für diesen sehr informativen und unterhaltsamen Streifzug durch den Jazz. Wie du siehst, ist auch die Mundharmonika dort immer wieder willkommen.

Mehr zur Mundharmonika im Allgemeinen und im Jazz findest du auch auf Klaus Rohwers Homepage. Dort gibt es übrigens auch seine berühmten Mundharmonika-Kalender.


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