Warum du immer noch wie „Hänschen klein“ klingst

Obwohl du schon einige Melodien auf deiner Mundharmonika spielen kannst, klingst du irgendwie blöd. Egal, wie du dich anstrengst – den coolen Sound aus den bekannten Songs kriegst du nicht hin. In diesem Artikel erfährst du warum das so ist. Und du kommst hinter das Geheimnis des Sounds den du gerne spielen willst.

Mundharmonika Hänschen klein Anfänger klingen

Wenn du zum allerersten Mal eine Harp in die Hand nimmst, dann lernst du zuerst die Grundtechniken. Mit der Zeit kannst du dann Melodien mit sauberen Einzeltönen spielen. Aber auch wenn du alles richtig machst, klingt es irgendwie nach „Hänschen klein“. Sehr wahrscheinlich war dieser liebliche Klang aber nicht das, was dich an der Mundharmonika begeistert hat.

Aus dem Radio oder von aktuellen Rock-Hits kennst du einen ganz anderen Sound. Der hat dich vom Hocker gehauen. Deswegen willst du auch Mundharmonika spielen! Und genau so wolltest du ja ursprünglich klingen, oder?

Keine Sorge! Was du gerade erlebst, ist normal. Denn du befindest dich im Übergang zu einem fortgeschrittenen Spieler. Damit du diesen besonderen Sound hinbekommst, musst du ein paar neue Tricks erlernen. Welche das sind, erfährst du in den nächsten Abschnitten.

Ein neuer Sound – Mit der Tradition brechen

Als die Mundharmonika um das Jahr 1820 herum erfunden wurde, spielten die Menschen im deutschsprachigen Raum vor allem Volkslieder. „Hänschen klein“ und „Alle Vögel sind schon da“ waren die Hits der damaligen Zeit.

Die Mundharmonika wurde deswegen auch für genau diese Musik ausgelegt. Wie einfach du diesen Sound hinbekommst, hast du ja bereits selbst erfahren. Denn gerade spielst du sie genau so, wie es ursprünglich vorgesehen war.

Mittlerweile hat sich aber unser Musikgeschmack geändert. Denn inzwischen ist unsere Musik stark von der amerikanischen Musik beeinflusst. Diese hat sich mit der Zeit immer mehr von unserer europäischen Musiktradition gelöst.

Dort hat sich nämlich die Musik der Einwanderer aus aller Welt zu einem ganz neuen Sound vermischt. Die Sklaven brachten ihre afrikanischen Klänge mit, die ganz anders waren als unsere Volksmusik. Und aus dieser Mischung aus europäischer und afrikanische Musik entstand jener frische und reizvolle Sound, der die Musik der letzten 100 Jahre bis heute geprägt hat: Rock, Pop, Hip-Hop, Country, Jazz und Blues.

Diesen Sound bekommst du auf der Mundharmonika also nur dann hin, wenn du ein paar Sachen anders machst.

R&B – Rhythm and Blues

Ein ganz großer Unterschied zwischen der afrikanischen Musik und unserer Volksmusik ist die Rhythmik. Ein Rhythmus entsteht durch Töne und Pausen unterschiedlicher Länge. Und die Wiederholung solcher Tonfolgen erzeugt ein Feeling, das dich einfach mitreißt.

Die afrikanische Musik ist gefüllt von sehr reichhaltigen Rhythmen. Dagegen ist unsere europäische Musik rhythmisch stark verkümmert. Bei uns hatte nämlich die Einführung der Notenschreibweise einen prägenden Einfluss. Denn unsere Noten pressen die Tondauer in ein stures Raster. Es gibt ein paar wenige Tonlängen – Halbe, Viertel, Achtel…

Und im Laufe der Zeit wurden alle unsere Melodien deswegen immer langweiliger. Eben weil sie lieb und an dieses Raster angepasst sind.

Anders wurde es erst, als die afro-amerikanischen Sklaven die Musik der Europäer nachspielten. Sie kannten die sturen Tonlängen nicht und haben die Melodien deswegen mit ihren Rhythmen gewürzt. Dadurch klang der Volksmusik-Muff auf einmal neu und interessant.

Damit du das auch auf der Mundharmonika spielen kannst, brauchst du also ein besseres rhythmisches Gefühl. Grundlage dafür ist, dass du den Takt halten kannst. Das nennt man auch Timing. Und erst dadurch kannst du schnellere Stücke spielen lernen.

Wenn dein Rhythmusgefühl sitzt, kannst du die Feinheiten lernen, die den erfrischenden Sound ausmachen. Du lernst dann nach und nach, was das Swing-Feeling ausmacht, was Synkopen sind und wie du das einsetzt. Und dies verwandelt deinen langweiligen Klang erst in etwas Reizvolles.

Hast du Töne?

Der Rhythmus ist die erste Zutat für die neue Würze in der Musik-Mischung. Aber das ist noch nicht alles.

Wenn du dir mal Musik aus der ganzen Welt angehört hast, dann merkst du, dass diese ganz anders klingt. Arabische Musik hat oft einen Sound, der für uns verstimmt klingt. Das liegt daran, dass man außerhalb von Europa in der Musik noch mehr Töne verwendet.

Wir haben uns nämlich im Mittelalter auf die 12 Töne festgelegt, die du heute auf jedem unserer Instrumente findest. In der afrikanischen Musik kennt man diese fixe Festlegung nicht. Dort verwendet man Töne, die wir so nicht kennen.

Diese Töne brachten die Sklaven mit nach Amerika und bauten sie in ihre Lieder mit ein. Man nennt diese Töne auch „Blue Notes“. Sie liegen irgendwo zwischen den Tönen, die du auf deiner Mundharmonika normalerweise spielen kannst. Und deswegen kriegst du diesen Sound mit der normalen Spielweise auch nicht hin.

Die neuen Töne bringen zudem mit sich, dass die Musik ganz anders klingt. Denn bei uns hat sich im Laufe der Jahrhunderte entwickelt, dass wir Musik entweder in Dur oder in Moll spielen. Also mit den zwei Klangvarianten: „heiter“ oder „traurig“ (stark vereinfacht gesagt).

Die schwarze Musik hört sich aber durch die anderen Töne weder nach Dur, noch nach Moll an. Es entsteht ein neuer Sound: Der Blues.

Coming round the Bend – neue Spieltechniken

Es ist dieser Blues-Sound, nachdem du suchst. Diesen Sound bekommst du aber mit den dir bis jetzt bekannten Spieltechniken nicht hin. Denn der Erfinder der Mundharmonika hat sie ja gar nicht dafür gebaut.

Eigentlich hätte also nie jemand so etwas auf der Mundharmonika spielen sollen. Aber diese magischen „Blue Notes“ hat dann doch irgendwann ein schwarzer Sklave entdeckt. Denn weil die Sklaven zu arm waren um jemals die „korrekte“ Spielweise zu lernen, haben sie es sich einfach selbst beigebracht.

Sie wollten einfach die Musik nachspielen, die sie tagtäglich bei der Arbeit auf den Baumwollfeldern sangen. Und dabei entdeckte einer von ihnen, dass man mit der Mundharmonika auch die afrikanischen Töne erzeugen kann, die er von klein auf kannte. Das war ein glücklicher Zufall!

Es ist nämlich so, dass du durch Veränderung des Mundraums, Töne in der Tonhöhe nach unten drücken kannst. Im Englischen nennt man das „Bending“, weil der Ton quasi nach unten gebogen wird. Und damit erreichst du schließlich die Töne, die zwischen den Noten der Mundharmonika liegen. Und die sind das Salz in der Suppe unserer neuen Würzmischung.



Mit der Zeit kamen immer mehr Spieltechniken hinzu, die den unverwechselbaren Sound bilden. Du siehst, allein mit der Tonleiter und „Alle meine Entchen“ bist du noch lange nicht am Ende deiner Reise mit der Mundharmonika. Es gibt immer wieder etwas Neues zu entdecken und mehr zu lernen.

Ach ja, jetzt weißt du übrigens auch, warum die Mundharmonika in Amerika „Blues Harp“ genannt wird ;)

Fazit

Du fragst dich, warum alle deine Lieder so brav und anständig klingen. Und das, obwohl du aus dem Radio einen ganz anderen Mundharmonika-Sound kennst. Jetzt weißt du, dass dieser Klang ganz normal ist, weil die Mundharmonika dafür gedacht war, damit Volkslieder zu spielen. Der andere Sound, den du suchst, kommt nämlich aus Amerika. Er entstand dadurch, dass die Sklaven ihre afrikanische Musik mit der europäischen Volksmusik bereichert haben. Diesen neuen Klang findest du heute überall in der Musik wieder.

Er entsteht zum einen durch die frischen Rhythmen, die aus Afrika mitgebracht wurden. Das ist die erste Zutat die du jetzt lernen musst um aus dem Volksmusik-Korsett auszubrechen. Zum anderen singen die Afrikaner mit weiteren Tönen, die du auf der Mundharmonika eigentlich nicht findest. Dadurch klingt die Musik erfrischend anders. Diese neuen Töne kannst du nur mit der Bending-Spieltechnik und dem Positionsspiel erzielen. Und sie sind die nächste wichtige Zutat, die dir und deinem Instrument dazu verhelfen, moderne Musik erklingen zu lassen.


Let the good times roll – Mark

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